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Olympia ´72



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Das Jahrhundertereignis für Schilksee

Zur Vorgeschichte

Das Schilkseer Hafenbecken war nach dem Kriege in desolatem Zustand: an vielen Stellen versandet, die Stege und Brücken zu einem erheblichen Teil verfallen und für internationale Segelereignisse, wenn überhaupt nur teilweise brauchbar.

Es mußte also ein neuer Hafen her, auch wenn im TSV zu Anfang niemand an Segeln gedacht hatte. Gleich nach der Eingemeindung begannen die Planungen für eine neue Heimat der Segler und kurz darauf die ersten Bauarbeiten. Zwischen 1960 und 1965 wurden für Schilksee stolze 3,8 Millionen DM ausgegeben: Stadt, Land und Bund teilten sich die Kosten. Die alten Brücken und Stege wurden abgerissen, es wurde gebaggert, gerammt, betoniert. Neue Molen aus Findlingen, die Steinfischer heranschippern, wurden zum Schutz gegen die Ostwinde aufgetürmt. Langsam wuchsen die Poller-Reihen, die Stege, die Spundwände, die schrägen gemauerten Uferbefestigungen. Ein neues Hafenmeistergebäude entsteht mit sanitären Einrichtungen, von denen heute erzählt wird, sie wären besser gewesen, als das, was das spätere Olympiazentrum 1972 bot. Am 18.6.1966 war es dann soweit: Im Rahmen der Kieler Woche 1966 wurde der neue Olympiahafen in Kiel-Schilksee eröffnet. Moment 'mal! Olympiahafen? War das denn schon klar mit den Segelwettbewerben. Nichts war klar! Der Name war mehr Programm und Hoffnung als berechtigte Bezeichnung. Und kaum war der Name bekannt, wurden die ersten Unkenrufe laut: "Wenn das man nicht ein Schuß in den Ofen wird! Wir haben in Schilksee den neuen Hafen und die Segelwettbewerbe finden woanders statt!" Am 26. April 1966 hatte München gerade den Zuspruch für die Olympischen Sommerspiele 1972 erhalten und neben Kiel machte sich auch Lübeck mit seinem an der Ostsee gelegenen Stadtteil Travemünde Hoffnung auf die Segelwettbewerbe. Zwar soll es Bayern gegeben haben, die auf dem Starnberger See die Wettbewerbe austragen wollten, aber das hat den Segelexperten in Kiel und Lübeck nun wirklich keinen Schreck eingejagt. Außerdem: Die olympischen Segelwettbewerbe müssen nach den gültigen Bestimmungen auf offener See ausgetragen werden. Und da liegt Bayern doch etwas abseits.

"In Schilksee muß außer dem Hafen alles neu gebaut werden!"

stellte Anfang 1967 der italienische Vizepräsident des Internationalen Segler- Verband Beppe Croce vor Ort fest. Das war tatsächlich das Problem. In Schilksee mußte alles neu gebaut werden, in Travemünde nicht. Aber damals gab es noch die DDR und die nahe Grenze. Da stach Kiels Argumentation wie ein Trumpf-As: Die Marine sei unverzichtbar für Organisation olympischer Segelwettbewerbe - das wußte man noch aus alten Zeiten und von den Kieler Wochen - und der Einsatz der Blauen Jungs war in HL-Travemünde wegen. DDR-Grenze nicht möglich, zumindest riskant.  So ging alles gut . Am 18. März 1967 bekam Kiel zu seinem neuen Olympiahafen die passenden Segelwettbewerbe vom Organisationskomitee in München zugesprochen.

Aus dem Arsenal wird das Olympiazentrum

Zunächst gab es einen Architektenwettbewerb mit sehr respektablen und schönen Lösungen, letztere wurden nach Ansicht von Otto Normalverbraucher natürlich nicht gebaut. Gebaut wurde das, was wir kennen: ein langgestreckter Betonbau, der eine Fortsetzung des Schilkseer Kliffs nach Norden hin symbolisieren soll und neben Bootshallen, Organisationsräumen, Sauna und sanitären Einrichtungen,  einem Postamt, Restaurants und Läden 400 Appartements mit je 30 bis 54 m² enthielt. Dazu 2 Hochhäuser mit insgesamt 168 Wohneinheiten, ein Hotel mit 11 Geschossen und 500 Betten für die Funktionäre, eine kleine Siedlung von 32 Fachdachbungalows, eine Schwimmhalle, eine Zuschauer-Terrasse von 10000 m² und manches mehr. Finanziert wurde dies u.a. von mehreren Wohnungsbaugesellschaften, die dann nach 1972 dann auch versuchten, Häuser, Appartements usw. zu verkaufen.

Das gerade neu erbaute Hafenmeistergebäude verschwand wieder und mit ihm eine Reihe weiterer  alter Häuser Schilksees und der gesamte Bereich des Arsenals mit alten Häusern und Bunkern, z.T. noch aus der Kaiserzeit, städtebaulich insgesamt nicht unbedingt ein Verlust, wenn es auch um einzelne Häuser schade war. Der Uhrenturm neben dem Hafenmeistergebäude - ursprünglich am Seegarten in der Innenförde beheimatet - mußte zum Hohen Ufer umgesetzt werden. Stehen bleiben durfte die Ruine des Strandhotels. Der Besitzer verlangte mehr als dreimal so viel wie die Stadt zu zahlen bereit war, nämlich eine gute halbe Million, also blieb das häßliche Ding direkt neben dem neuen Olympiazentrum einfach stehen.
 

Der Olympiahafen - nun war der Name endlich berechtigt -wurde in seiner Größe verdoppelt und bekam ein repräsentatives neues Gebäude für Hafenmeisterei und - obendrauf - die Anlage für das Olympische Feuer. Insgesamt war ein fast einmaliges Segelzentrum ca. 285 000 m² entstanden.

Und wieder war es in die Millionen gegangen. Ob überhaupt einer weiß, wieviel es genau waren? Es ist wohl zu bezweifeln. Angeblich waren es insgesamt 150 Millionen DM, die Stadt Land und Bund für Schilksee und seine Spiele hatte berappen müssen. 750 Millionen sollen angeblich wieder in die Kassen hereingekommen sein. An der Stadt Kiel blieben ca. 6,5 Millionen DM Kosten hängen. Dafür bekam sie aber Anlagen im Wert von ca. 90 Millionen DM.

Beeindruckend auch die Organisation. Allein die Helfer der Marine zählten 1500 Mann, die täglich frische weiße Uniformen bekamen. 80 Wasserfahrzeuge standen für die unterschiedlichsten Aufgaben zur Verfügung,  70 Marine-Köche sorgten für das leibliche Wohl von Aktiven, Betreuern, Funktionären und Gästen. Auch die Einrichtung und Ausrüstung der Unterkünfte kam weitgehend von der Marine. Ein mobiler Tower mit 10 Hubschraubern stand zur Verfügung. Weitere Marine-Aufgaben waren: Funkverkehr, Fahnenaufziehen, Spielen der Nationalhymnen etc., Sanitätsversorgung, 4 Mehrzwecklandungsfahrzeuge hatten die Aufgabe, gekenterte Jollen zu bergen, Kampfschwimmer standen für besonders schwierige Fälle bereit und 4 bis 6 Schlauchboote betreuten jeweils eine Regattabahn. Dazu kamen zivile Helfer für die unterschiedlichsten Zwecke. Alles hier aufzuzählen ist nicht möglich.

Die Wasser- und Schiffahrtsdirektion mußte wegen der Regattabahnen extra für die Zeit der Segelwettbewerbe das Fahrwasser verlegen. Allein dies verursachte Kosten in Höhe von ca. 400 000 DM.
Was bei den meisten Sportarten die Tribünen sind, sind beim Segeln die Begleitschiffe. 14 solcher "schwimmenden Tribünen" gab es 1972 für täglich 3800 Sehleute.

Wegen der Ladenöffnungszeiten der Kieler Geschäfte kam es zu Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft. Nur für Schilksee, nicht für andere Teile Kiels, konnten Öffnungszeiten bis 21.00 Uhr ausgehandelt werden.

Schilksee mit eigener Eröffnungsfeier

Als am 28. August 1972, einem Montag, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitee, Avery Brundage, unter Beisein von Berthold Beitz und Wille Daume, den Vertretern von NOK und Organsationskomitee und Segelausschuß mit Wettfahrtleiter Otto Schlenzka, unter der Anwesenheit von Prominenz aus Politik, Kultur und Wirtschaft des Landes sowie ganz Deutschland sowie internationalen Gästen, die Segelwettbewerbe in Kiel-Schilksee eröffnete, war klar, daß dies mehr war als nur eine Außenstellen der Münchener Spiele neben anderen wie Augsburg und 8 weiteren Städten, in denen Olympische Wettkämpfe stattfanden. Gerade die Eröffnungsfeier und die Anwesenheit des IOC-Präsidenten zeigte deutlich: hier handelt es sich um eine Veranstaltung mit eigenem hohen Rang, wie es 1936 z.B. nicht der Fall gewesen war. Äußerliches Zeichen für die Eigenständigkeit der Kieler Wettbewerbe war vor allem die Kleidung der Hostessen u.a.. Da sich die Münchener Dirndls an der Ostseeküste nicht so besonders gut machen würden, hatte man eigens für die zivilen Mitarbeiter der Organisation der Segelwettbewerbe Kleidung im maritimen Look entwerfen lassen.

Das Hafenvorfeld ist für die Zeit der gesamten Wettbewerbe fahnen- und blumengeschmückt und aufgeräumt wie nicht in späteren Zeiten. Nur die Aktiven und ihre Betreuer sowie die offiziell geladenen Gäste dürfen  in die abgesperrten Bereich. Doch auch von der Terrasse des Olympiazentrums hat man einen guten Blick. Unter den Klängen des Marine-Musikkorps Ostsee marschieren die Teilnehmer zur Eröffnungsfeier ein, darunter auch Sportler der DDR. Es sind - verglichen mit München - kleine Mannschaften und - was auffällt - nur Männer (kümmern sich die Frauen derweil um die Kinder????). Es herrscht Hochdruckwetter: blauer Himmel, ein frischer Wind weht, als die Olympiafahne hereingetragen und aufgezogen wird. Inzwischen ist das olympische Feuer von Staffelläufern vom Rathausplatz nach Schilksee getragen worden. Der letzte Läufer entzündet hoch über den Liegeplätzen unter dem Dröhnen zahlreicher Schiffstyphone die Flamme, die bis zum 8. September brennen soll.

Chronik der Regatten

Der erste Wettfahrttag beginnt bei herrlichem Wetter und - besonders wichtig - Windstärke 3. Über alle Details der Wettkämpfe zu berichten, würde jeden Rahmen sprengen. Es gibt viele Favoriten und noch mehr Segler, die den Favoriten die Medaillenrängen streitig machen wollen. Faszinierend immer wieder: die Kämpfe Boot gegen Boot, Segler gegen Segler. Da es zumindest bei den medaillenverdächtigen Teilnehmern ausnahmslos um Meister ihres Faches handelt, hängt Erfolg und Mißerfolg vielfach von Kleinigkeiten ab. An Land wird derweil gebangt, geknobelt, spekuliert um Tagessiege oder gute Plätze, werden Ergebnislisten studiert und Wetterberichte ausgewertet: Bleibt der Wind, wird er stärker oder gibt es Flaute. Da gibt es Spezialisten für Sturm, für Schwache Winde und solche, denen jedes Wetter recht ist.

Das Hoch bleibt wetterbestimmend, zunächst wehen nur schwache Winde, als der 2. Tag beginnt: eher untypisch für Kiel und die Jahreszeit. Doch für die Wettfahrten reicht es. So ist der Hafen tagsüber fast leer, umso voller die Bahnen A, Bund C in der Außenförde. Der 3. Tag bringt wenig neues. Noch ist es zu früh, Voraussagen über Sieg und Niederlage zu treffen.  Der 4. Tag bringt ihn endlich: den von vielen ersehnten Wind. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Regatten eher untypisch für das Kieler Revier und günstig für Leichtwettersegler.

An diesen Wettfahrttag schließt sich bis zum Sonntag einschließlich eine Pause an. Die Boote werden aus dem Wasser genommen und es können diverse Arbeiten vorgenommen werden. Am Sonntag steht trotzdem Segeln wieder auf der Tagesordnung. Aber an diesem Tag tauchen nachmittags mit leichter Verspätung ganz andere Segelschiffe vor Schilksee auf: In der Kieler Bucht haben sich weit draußen eine Reihe größere und viele kleinere Windjammer, insgesamt 65 Schiffe, und hunderte von begleitenden Booten und Schiffe zur Windjammer-Parade getroffen und segeln mit gerade rechtzeitig leicht aufbrisendem Wind Richtung Innenförde.

Was der Sonntag mit Vormittagsflaute schon andeutete, wurde am 5. Wettfahrttag für die Finns zum Problem. Nachdem schon 5 Fehlstarts produziert worden waren, kam die große Flaute. Der Tag bringt Proteste und Wettfahrtabbrüche. Umso mehr war an Land bei der VIP-Betreuung los: "Präsidententag" in Schilksee. Wann hatte man hier so viel Prominenz gesehen. Ministerpräsident, Minister, Prominenz reichlich!

Der ohnehin schon katastrophale 5. Tag endet mit einer schlimmen Meldung: Attentat in München! Im Pressenzentrum laufen die Nachrichten zusammen, Entsetzen macht sich breit, als die Information über das Ende auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck eintrifft. In der Schilkseer Abendsonne über den Salzwiesen wehen die Fahnen auf Halbmast. Wie soll es weitergehen. War das das Ende der olympischen Regatten in Schilksee?
Es geht weiter. Trotz allem! "The Games must go on!" (Avery Brundage) Der 6. Tag (Es geht mit 24 Stunden Verzug weiter) bringt teilweise mehr Kampf mit dem Wetter als mit der Konkurrenz. Wieder Flaute, dazu Dunst und Nebel, passend zur Stimmung nach dem  Ausgang der Entführung in München. Die Sicht liegt unter einer halben Seemeile, schlaff baumeln die Fahnen am Mast. Doch für die Wertung reicht es. Am 7. Tag werden die Regatten abgebrochen. Manche Boote müssen in der Waschküche regelrecht gesucht werden. Der letzte Tag: wieder Nebel.  Bangende Gesichter bei den Funktionären, Trainern und Begleitern. Doch die Regatten sind ordnungsgemäß zum Ende zu führen. Versöhnliches Ende für die deutsche Mannschaft: Der erste (und einzige!) deutsche Tagessieg bringen Uli Libor und Peter Naumann Bronze im Flying Dutchman, Willy Kuhweide und Karsten Meyer erreichen dasselbe im Starboot. Erfolgreichste Nation mit zwei Goldmedaillen sind die Australier.

Noch vor der Siegerehrung wird abgetakelt, kommen die Boote aus dem Wasser, beginnt das Packen. Unter Scheinwerferlicht geht es dann am 8. September an das Verteilen der Medaillen unter den Augen stets bei solchen Anlässen präsenten Prominenz und Tausenden von Zuschauern. Noch einmal unterstreicht die Anwesenheit von Avery Brundage den besonderen Status der Olympischen Segelwettbewerbe. Unter Fanfarenklängen holen Marine-Soldaten die Olympia- Flagge ein, die Flamme erlischt. Die Schilkseer Regatten sind zu Ende. Wohl zum letzten Mal für absehbare Zeit hatte die Stadt Kiel, hatte Schilksee, die Ehre, zu olympischen Segelwettbewerben einladen zu dürfen. Trotz des Schattens von Fürstenfeldbruck eine erfolgreiche Werbung für Kiel, für Schilksee, den Segelsport.

Und Kuddel Schnööf (bürgerlich: Jochen Steffen) faßte den Erfolg seinerzeit in unnachahmliche Reime:

                 Keinen Prominenten ins Wasser gefalln,
                 keine große Hauerei annie Küste,
                 keine leeren Bierfässers innie Kneipen,
                 selps die Preise bleiben stabil.
                 Wascha an sich 'ne Sensatschon is,
                 abers nich als sochche emfunnen wird.

Übringens: Wußten Sie schon, daß ...

... die  Olympiade  der Zeitraum von vier Jahren zwischen zwei Olympischen Spielen  ist   und  nicht  die Zeit der Spiele   bezeichnet?
 

Es ist alles eine Frage der Sichtweise!

Die Olympischen Sommerspiele 1972 fanden in Kiel-Schilksee statt. Aufgrund des damals schon eklatanten Sportstättenmangels in Schilksee mußten allerdings einige weniger bedeutende Ereignisse (Leichtathletik, Kanusport, Handball, Fußball, ...) in andere Städte wie z.B. München ausgelagert werden.

("Aha!")
 

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