Sonderstempel und Sonderpostkarte "75 Jahre Neues Kieler Rathaus"
Brief zum Kieler Umschlag 2005 *) sowie eine Ansichtskarte von 1911: hier wird klar, welches Gebäude in Kiel  das neue Rathaus ist
Übrigens: das Stadtarchiv sieht das auch so:  "1907 - 1911 Bau des neuen Rathauseshier klicken!


Das alte Rathaus und das neue Rathaus und das ... Rathaus?

Das alte Kieler Rathaus von 1300 stand am Alten Markt, das neue wurde 1911 am Neumarkt (heute: Rathausplatz, zwischendurch noch ein anderer Name ...!) erbaut, dann haben wir seit ein paar Jahren noch ein Rathaus  - ein ausgesprochen häßliches - an der Andreas-Gay-Straße, früher beheimatete es die Oberpostdirektion und die Hauptpost! Ein Schildbürgerstreich?
Interessant: Die Stadt Kiel das genau so, wie der Prospekt von 1995 zeigt: Seite 1; Seite 2



von Hannelore Pieper-Wöhlk und Dr. Dieter Wöhlk

Es ist nicht lange her, da wurde über das Gebäude der ehemaligen Oberpostdirektion und Hauptpost in Kiel an der Andreas-Gayk-Straße gesprochen und geschrieben. Dabei fiel die Bezeichnung „Neues Rathaus“.  Dies  hatten wir unmittelbar vorher schon einmal  gelesen, und zwar  bei der Arbeit an einem Packen Postkarten,  Sonderbriefumschläge usw. mit Poststempel von Kiel und Umgebung. Bei erneuter Durchsicht fanden wir die Karte mit Stempel 19.11.1986, auf der man  tatsächlich anläßlich eines Jubiläums (55 Jahre Kieler Philatelisten-Verein) lesen konnte: „75 Jahre Neues Kieler Rathaus 1911 bis 1986“.  Natürlich, es ging um das bekannte Rathaus am Rathausplatz, früher Neumarkt, zwischenzeitlich auch mal - lange Zeit mochte man es kaum aussprechen - Adolf-Hitler-Platz genannt. Jeder Kiel-Kenner wird es bestätigen: der große eindrucksvolle Bau mit dem noch eindrucksvolleren Turm ist das neue Kieler Rathaus. Das alte Rathaus nämlich stand in der  sogenannten Altstadt, d.h. auf dem Alten Markt, der seit 1875 diesen Namen trägt. Dieses Rathaus wurde oberirdisch fast völlig im 2. Weltkrieg zerstört. Ein Bombenangriff am 13. Dez 1943 legte es in Schutt und Asche. Doch der alte Ratskeller mit seinen historischen Gewölben blieb
erhalten, wurde zugeschüttet und hätte wieder seinem alten historischen Zweck zugeführt werden können. 1971 bei den Vorbereitungen zur Neugestaltung des Alten Marktes stellte der Landeskonservator den alten Keller sicherheitshalber unter Denkmalsschutz.

Doch eine Wiederherstellung des historischen Zustandes, zumindest unter der Erde scheiterte am fehlenden guten Willen, vor allem an der Spekulation auf einen großen Wurf bei der Neugestaltung des Marktes. Doch es wurde nichts mit großem Wurf. Die moderne Umgestaltung Anfang der siebziger Jahre muß als gescheitert gelten. Die fällige Nachbesserung vor  wenigen Jahren, wird dem historischen Anspruch, den der Marktplatz des alten Kiel zwangsläufig stellt, auch nur sehr bedingt gerecht. Schade ist es vor allem um das alte Rathaus. Sicher sind die Gewölbe teilweise wieder in Nutzung, doch ohne Bezug zu dem, was früher einmal  wichtiger Teil von Kiels Geschichte war. Doch wir wollen uns nicht aufhalten mit Ratherren-Zusammenkünften unter gotischen Bögen und Gewalttaten nach Saufgelagen im historischen Zentrum der Stadt. Etwas ganz anderes ist mit der Zerstörung des Rathauses am Markt und seinem geretteten Untergeschoß verschüttet und zubetoniert worden: die Erinnerung an ein Haus, das nicht nur Kieler und Landesgeschichte,sondern auch deutsche Geschichte einmaliger Art gesehen hat, droht endgültig ausgelöscht zu werden. Denn mit der Ernennung der ehemaligen Postgebäudes an der Andreas-Gayk-Straße zum „Neuen Rathaus“, wird der Komplex an der Fleethörn zum „Alten Rathaus“ und  damit wird das wahre alte Rathaus noch mehr als ohnehin schon aus dem aus dem Bewußtsein der Bürger verschwinden.



Was wissen wir noch über das alte Rathaus am Markt?  Sicher ist, daß es aus der Zeit kurz nach der Stadtgründung Kiels stammt, vermutlich ist es kurz nach 1300 gebaut worden. Weiter ist bekannt, daß es wiederholt umgebaut wurde, nämlich 1596 und 1670 sowie im Jahre  1845, als es seine auf alten Fotos zu sehende neugotische Fassade erhielt. Entscheidend für die Bedeutung des Alten Kieler Rathauses für Kiel, Schleswig-Holstein und letztlich auch für die deutsche Demokratie ist jedoch weder das Alter des Gebäudes noch seine Architektur, sondern die Rolle, die  es in der Mitte des letzten Jahrhunderts gespielt hat. In diesem Gebäude nahm nämlich die Erhebung Schleswig-Holsteins gegen die Einverleibung des Herzogthums Schleswig in den dänischen Staat ihren offiziellen Anfang, wurde am 24. März 1848 die provisorische Regierung der Herzogtümer Schleswig und Holstein gebildet. Im Rahmen dieser Erhebung erhielt Schleswig-Holstein eine, wenn auch nur für kurze Zeit funktionsfähige demokratische Verfassung - die erste auf dem Gebiet des heutigen Deutschland, auf dessen erste demokratische Verfassung Dank bis 1919 gewartet werden mußte. Das Kieler Rathaus am Alten Markt muß als wichtiges Symbol für demokratische Traditionen im Lande, in der gesamten Republik gesehen werden. Hans Olde der Ältere, der Maler aus Seekamp in Schilksee, hat gegen Ende des letzten Jahrhunderts den Vorgang der Proklamation der provisorischen Regierung des Landes in einem eindrucksvollen Gemälde festgehalten. 25 Jahre nach der Erhebung wurde am Rathaus eine Gedenktafel zur Erinnerung an das bedeutsame Ereignis schleswig-holsteinischer Geschichte angebracht. Die tafel überstand die Bombenangriffe nicht und das Wissen um bedeutende demokratische Traditionen  droht in Kiel dem Vergessen anheim zu fallen, wenn im Sprachgebrauch das eigentliche Neue Rathaus an der Fleethörn, traditionsreich und fast altertümlich in seiner Wirkung gegenüber modernen Neubauten der Konsummeile Holsteinstraße, zum Alten Rathaus der Stadt umetikettiert wird, anstatt es den Tatsachen entsprechend als das zu bezeichnen, was es stets war: Das „Neue Rathaus“ des Jahres 1911. Vielleicht steckt ja gar  kein böser Wille hinter dem Ganzen, sondern einfach nur die Unfähigkeit, dem ehemaligen Postgebäude in der Andreas-Gay-Straße als Rathaus-Filiale einen angemessenen Namen zu verpassen. Der Neubau von 1911 wurde erforderlich, weil sein Vorgänger nicht annähernd die notwendige Größe für die Verwaltung einer Großstadt von inzwischen weit mehr al 100 000 Einwohnern hatte! Immer weniger Menschen in der Landeshauptstadt wissen allerdings, was sich vor 1900 an der Fleethörn dort befand, wo heute das „Neue Rathaus“ steht, und daß der vertraute Gebäudekomplex fast ganz anders hätte aussehen können und auch teilweise ein ganz anderes Aussehen hatte als heute. Dem Rathaus-Neubau weichen mußte an der Fleethörn das Erste Kieler Gaswerk. Es war 1856 auf Initiative des Bankiers Wilhelm Ahlmann gebaut worden und versorgte im Stadtgebiet zum Schluß noch zusammen mit dem Gaswerk am Rondeel (Baujahr 1887) und in der Wik (Baujahr 1897) über 4000 Gaslaternen (dazu kamen 100 Petroleumlaternen und erst knapp 100 elektrische Lichtquellen). 1906 erfolgte der Abbruch der Gasanstalt, und es begann der Neubau des Neuen Rathauses nach Plänen des Karlsruher Architekten Hermann Billing, dessen Entwurf anderen Plänen - z.B. dem pompösen Entwurf von F. Tyriot (Kennwort „Meerumschlungen“) vorgezogen wurde. Billings Rathaus-Neubau im jugendstilmäßigen Klassizismus kostete die nicht gerade reiche Stadt den damals ungeheuren Betrag von 4 200 000 Goldmark. Dabei war der Neubau in Großen und Ganzen kein Prunkbau. Die meisten Gebäudeteile waren eher bescheiden in heimischem Backstein ausgeführt und mit einfachem Schieferdach versehen. Eindrucksvoll dagegen waren natürlich der bis heute das Bild der Innenstadt prägende Turm und der in Sandstein ausgeführte Mittelteil am Neumarkt, dessen Dach mit Kupfer gedeckt die Form eines umgedrehten („gekenterten??? “) Schiffsrumpfes hatte. Auch der Innenausbau war eher schlicht und zweckmäßig. Den Schmuck lieferten überwiegend Spenden von Kieler Institutionen und Einzelbürgern in Form diverser Gemälde. Plastiken u.a. Kunstwerke. Trotzdem gab  über die Baukosten viele Unmutsäußerungen aus den Reihen der Bürger. Bezeichnend der zeitgenössische und bis heute wohlbekannte und populäre Text zur Musik des Glockenspiels im Rathausturm: „Kiel hett keen Geld, dat weet de Welt ...“ . Tatsächlich war der Gebäudekomplex insgesamt für seine Zeit viel zu groß, wovon allerdings lange Zeit das Kiel der Zeit nach dem 2. Weltkrieg mit ständig wachsendem Raumbedarf für die Verwaltung profitierte. Bei der pompösen Einweihung am 12.11.1911 durch Wilhelm den Zweiten war die Kritik an den Kosten allerdings schnell vergessen, es gab  wieder einmal den typischen Jubel mit Hochrufen und Festbankett. Noch glaubte man den Versprechen des Kaisers, er würde auch die Kieler „herrlichen Zeiten“ entgegenführen. Daß statt dessen auf den Krieg hin gearbeitet wurde, wollen nicht einmal heute viele wahrhaben.

Dieser Krieg verschonte noch den Neubau an der Fleethörn, der zweiten Weltkrieg fügte ihm in den letzten Bombennächten erhebliche Beschädigungen zu. Nur der Rathausturm trotzte allen Gefahren und ragt auf Bildern von 1945 stolz aus einer Wüsten von Ruinen und Trümmerflächen empor. 1948/49 wurde die Backsteinfassade in alter Form wiederhergestellt, statt Kupferdach gab es allerdings ein schlichtes Walmdach mit Dachpfanneneindeckung. Die für später vorgesehen Wiederherstellung der alten Dachform unterblieb - leider - bis heute. In den 1950er Jahren wurden dann die übrigen Teile des Rathauskomplexes restauriert, auch der Innenraum konnte in weiten Teilen wieder hergestellt werden.

Fassen wir noch einmal zusammen: Es stellt sich also die folgende Situation: das alte Rathaus (am Alten Markt) gibt es noch, es ist in Teilen erhalten. Das Rathaus am Rathausplatz (früher Neumarkt und zwischenzeitlich ... ach vergessen wir das!) ist damit zweifellos nicht das alte Rathaus, sondern das neue Rathaus (siehe oben!).

Wie soll denn nun der Bau an der Andreas-Gayk-Straße heißen? Neues Rathaus kann er nicht heißen! Neues neues Rathaus???????
Wie  wäre es mit "Verwaltungszentrum Alte Post"?

*) Das Symbol zum Kieler Umschlag 2005 enthält einen kleinen Fehler: das Dach des Rathauses hat die Form aus der Zeit nach 1950, die Darstellung bezieht sich aber auf das Jahr 1920! Auf dem Schwarz-Weiß-Foto oben ist die richtige Form aus der Zeit bis zum 2. Weltkrieg gut zu sehen. Das ist aber nicht so schlimm, wichtig ist der - korrekte - Name: Neues Rathaus!!!
 
 

So! Noch einmal zum Mitschreiben:

Das alte Rathaus:                                           Das neue Rathaus:                                           Das unsägliche und teure Gebäude (ex. Oberpostdirektion):
                                                                                                                                                     (hier versagt immer wieder die Kamera!)


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Übrigens:


Zu diesem Thema ist von den gleichen Autoren ein Artikel in
ähnlicher Form im alten Kieler Anzeiger, der nicht mehr existiert.
Den Namen hat ein anderer Verlag gekauft. Doch das neue Blatt,
das ist nicht mehr der Kieler Anzeiger, der für seine regionalhisto-
rischen Beiträge bekannt war!