Das alte Kieler Rathaus von 1300 stand am Alten
Markt,
das neue wurde 1911 am Neumarkt (heute: Rathausplatz, zwischendurch
noch
ein anderer Name ...!) erbaut, dann haben wir seit ein paar Jahren noch
ein Rathaus - ein ausgesprochen häßliches - an der
Andreas-Gay-Straße,
früher beheimatete es die Oberpostdirektion und die Hauptpost! Ein
Schildbürgerstreich?
Interessant: Die Stadt Kiel das genau so, wie der
Prospekt
von 1995 zeigt: Seite 1; Seite
2
Es
ist nicht lange her, da wurde über das Gebäude der ehemaligen
Oberpostdirektion und Hauptpost in Kiel an der
Andreas-Gayk-Straße
gesprochen und geschrieben. Dabei fiel die Bezeichnung „Neues
Rathaus“.
Dies hatten wir unmittelbar vorher schon einmal gelesen,
und
zwar bei der Arbeit an einem Packen Postkarten,
Sonderbriefumschläge
usw. mit Poststempel von Kiel und Umgebung. Bei erneuter Durchsicht
fanden
wir die Karte mit Stempel 19.11.1986, auf der man
tatsächlich
anläßlich eines Jubiläums (55 Jahre Kieler
Philatelisten-Verein)
lesen konnte: „75 Jahre Neues Kieler Rathaus 1911 bis 1986“.
Natürlich,
es ging um das bekannte Rathaus am Rathausplatz, früher Neumarkt,
zwischenzeitlich auch mal - lange Zeit mochte man es kaum aussprechen -
Adolf-Hitler-Platz genannt. Jeder Kiel-Kenner wird es bestätigen:
der große eindrucksvolle Bau mit dem noch eindrucksvolleren Turm
ist das neue Kieler Rathaus. Das alte Rathaus nämlich
stand
in der sogenannten Altstadt, d.h. auf dem Alten Markt, der seit
1875
diesen Namen trägt. Dieses Rathaus wurde oberirdisch fast
völlig
im 2. Weltkrieg zerstört. Ein Bombenangriff am 13. Dez 1943 legte
es in Schutt und Asche. Doch der alte Ratskeller mit seinen
historischen
Gewölben blieb
erhalten, wurde
zugeschüttet
und hätte wieder seinem alten historischen Zweck zugeführt
werden
können. 1971 bei den Vorbereitungen zur Neugestaltung des Alten
Marktes
stellte der Landeskonservator den alten Keller sicherheitshalber unter
Denkmalsschutz.
Doch eine
Wiederherstellung
des historischen Zustandes, zumindest unter der Erde scheiterte am
fehlenden
guten Willen, vor allem an der Spekulation auf einen großen Wurf
bei der Neugestaltung des Marktes. Doch es wurde nichts mit
großem
Wurf. Die moderne Umgestaltung Anfang der siebziger Jahre muß als
gescheitert gelten. Die fällige Nachbesserung vor wenigen
Jahren,
wird dem historischen Anspruch, den der Marktplatz des alten Kiel
zwangsläufig
stellt, auch nur sehr bedingt gerecht. Schade ist es vor allem um das
alte
Rathaus. Sicher sind die Gewölbe teilweise wieder in Nutzung, doch
ohne Bezug zu dem, was früher einmal wichtiger Teil von
Kiels
Geschichte war. Doch wir wollen uns nicht aufhalten mit
Ratherren-Zusammenkünften
unter gotischen Bögen und Gewalttaten nach Saufgelagen im
historischen
Zentrum der Stadt. Etwas ganz anderes ist mit der Zerstörung des
Rathauses
am Markt und seinem geretteten Untergeschoß verschüttet und
zubetoniert worden: die Erinnerung an ein Haus, das nicht nur Kieler
und
Landesgeschichte,sondern auch deutsche Geschichte einmaliger Art
gesehen
hat, droht endgültig ausgelöscht zu werden. Denn mit der
Ernennung
der ehemaligen Postgebäudes an der Andreas-Gayk-Straße zum
„Neuen
Rathaus“, wird der Komplex an der Fleethörn zum „Alten Rathaus“
und
damit wird das wahre alte Rathaus noch mehr als ohnehin schon aus dem
aus
dem Bewußtsein der Bürger verschwinden.
Was wissen wir noch
über
das alte Rathaus am Markt? Sicher ist, daß es aus der Zeit
kurz nach der Stadtgründung Kiels stammt, vermutlich ist es kurz
nach
1300 gebaut worden. Weiter ist bekannt, daß es wiederholt
umgebaut
wurde, nämlich 1596 und 1670 sowie im Jahre 1845, als es
seine
auf alten Fotos zu sehende neugotische Fassade erhielt. Entscheidend
für
die Bedeutung des Alten Kieler Rathauses für Kiel,
Schleswig-Holstein
und letztlich auch für die deutsche Demokratie ist jedoch weder
das
Alter des Gebäudes noch seine Architektur, sondern die Rolle,
die
es in der Mitte des letzten Jahrhunderts gespielt hat. In diesem
Gebäude
nahm nämlich die Erhebung Schleswig-Holsteins gegen die
Einverleibung
des Herzogthums Schleswig in den dänischen Staat ihren offiziellen
Anfang, wurde am 24. März 1848 die provisorische Regierung der
Herzogtümer
Schleswig und Holstein gebildet. Im Rahmen dieser Erhebung erhielt
Schleswig-Holstein
eine, wenn auch nur für kurze Zeit funktionsfähige
demokratische
Verfassung - die erste auf dem Gebiet des heutigen Deutschland, auf
dessen
erste demokratische Verfassung Dank bis 1919 gewartet werden
mußte.
Das Kieler Rathaus am Alten Markt muß als wichtiges Symbol
für
demokratische Traditionen im Lande, in der gesamten Republik gesehen
werden.
Hans Olde der Ältere, der Maler aus Seekamp in Schilksee, hat
gegen
Ende des letzten Jahrhunderts den Vorgang der Proklamation der
provisorischen
Regierung des Landes in einem eindrucksvollen Gemälde
festgehalten.
25 Jahre nach der Erhebung wurde am Rathaus eine Gedenktafel
zur Erinnerung an das bedeutsame Ereignis schleswig-holsteinischer
Geschichte
angebracht. Die tafel überstand die Bombenangriffe nicht und das
Wissen
um bedeutende demokratische Traditionen droht in Kiel dem
Vergessen
anheim zu fallen, wenn im Sprachgebrauch das eigentliche Neue Rathaus
an
der Fleethörn, traditionsreich und fast altertümlich in
seiner
Wirkung gegenüber modernen Neubauten der Konsummeile
Holsteinstraße,
zum Alten Rathaus der Stadt umetikettiert wird, anstatt es den
Tatsachen
entsprechend als das zu bezeichnen, was es stets war: Das „Neue
Rathaus“
des Jahres 1911. Vielleicht steckt ja gar kein böser Wille
hinter
dem Ganzen, sondern einfach nur die Unfähigkeit, dem ehemaligen
Postgebäude
in der Andreas-Gay-Straße als Rathaus-Filiale einen angemessenen
Namen zu verpassen. Der Neubau von 1911 wurde erforderlich, weil sein
Vorgänger
nicht annähernd die notwendige Größe für die
Verwaltung
einer Großstadt von inzwischen weit mehr al 100 000 Einwohnern
hatte!
Immer weniger Menschen in der Landeshauptstadt wissen allerdings, was
sich
vor 1900 an der Fleethörn dort befand, wo heute das „Neue Rathaus“
steht, und daß der vertraute Gebäudekomplex fast ganz anders
hätte aussehen können und auch teilweise ein ganz anderes
Aussehen
hatte als heute. Dem Rathaus-Neubau weichen mußte an der
Fleethörn
das Erste Kieler Gaswerk. Es war 1856 auf Initiative des Bankiers
Wilhelm
Ahlmann gebaut worden und versorgte im Stadtgebiet zum Schluß
noch
zusammen mit dem Gaswerk am Rondeel (Baujahr 1887) und in der Wik
(Baujahr
1897) über 4000 Gaslaternen (dazu kamen 100 Petroleumlaternen und
erst knapp 100 elektrische Lichtquellen). 1906 erfolgte der Abbruch der
Gasanstalt, und es begann der Neubau des Neuen Rathauses nach
Plänen
des Karlsruher Architekten Hermann Billing, dessen Entwurf anderen
Plänen
- z.B. dem pompösen Entwurf von F. Tyriot (Kennwort
„Meerumschlungen“)
vorgezogen wurde. Billings Rathaus-Neubau im
jugendstilmäßigen
Klassizismus kostete die nicht gerade reiche Stadt den damals
ungeheuren
Betrag von 4 200 000 Goldmark. Dabei war der Neubau in Großen und
Ganzen kein Prunkbau. Die meisten Gebäudeteile waren eher
bescheiden
in heimischem Backstein ausgeführt und mit einfachem Schieferdach
versehen. Eindrucksvoll dagegen waren natürlich der bis heute das
Bild der Innenstadt prägende Turm und der in
Sandstein
ausgeführte Mittelteil am Neumarkt, dessen Dach mit Kupfer gedeckt
die Form eines umgedrehten („gekenterten??? “) Schiffsrumpfes hatte.
Auch
der Innenausbau war eher schlicht und zweckmäßig. Den
Schmuck
lieferten überwiegend Spenden von Kieler Institutionen und
Einzelbürgern
in Form diverser Gemälde. Plastiken u.a. Kunstwerke. Trotzdem
gab
über die Baukosten viele Unmutsäußerungen aus den
Reihen
der Bürger. Bezeichnend der zeitgenössische und bis heute
wohlbekannte
und populäre Text zur Musik des Glockenspiels im Rathausturm:
„Kiel
hett keen Geld, dat weet de Welt ...“ . Tatsächlich war der
Gebäudekomplex
insgesamt für seine Zeit viel zu groß, wovon allerdings
lange
Zeit das Kiel der Zeit nach dem 2. Weltkrieg mit ständig
wachsendem
Raumbedarf für die Verwaltung profitierte. Bei der pompösen
Einweihung
am 12.11.1911 durch Wilhelm den Zweiten war die Kritik an den Kosten
allerdings
schnell vergessen, es gab wieder einmal den typischen Jubel mit
Hochrufen
und Festbankett. Noch glaubte man den Versprechen des Kaisers, er
würde
auch die Kieler „herrlichen Zeiten“ entgegenführen. Daß
statt
dessen auf den Krieg hin gearbeitet wurde, wollen nicht einmal heute
viele
wahrhaben.
Dieser Krieg verschonte
noch
den Neubau an der Fleethörn, der zweiten Weltkrieg fügte ihm
in den letzten Bombennächten erhebliche Beschädigungen zu.
Nur
der Rathausturm trotzte allen Gefahren und ragt auf Bildern von 1945
stolz
aus einer Wüsten von
Ruinen und Trümmerflächen empor. 1948/49 wurde die
Backsteinfassade
in alter Form wiederhergestellt, statt Kupferdach gab es allerdings ein
schlichtes Walmdach mit Dachpfanneneindeckung. Die für später
vorgesehen Wiederherstellung der alten Dachform unterblieb - leider -
bis
heute. In den 1950er Jahren wurden dann die übrigen Teile des
Rathauskomplexes
restauriert, auch der Innenraum konnte in weiten Teilen wieder
hergestellt
werden.
Fassen wir noch einmal zusammen: Es stellt sich also die folgende Situation: das alte Rathaus (am Alten Markt) gibt es noch, es ist in Teilen erhalten. Das Rathaus am Rathausplatz (früher Neumarkt und zwischenzeitlich ... ach vergessen wir das!) ist damit zweifellos nicht das alte Rathaus, sondern das neue Rathaus (siehe oben!).
Wie soll denn nun
der
Bau an der Andreas-Gayk-Straße heißen? Neues Rathaus kann
er
nicht heißen! Neues neues Rathaus???????
Wie wäre es
mit "Verwaltungszentrum Alte Post"?
*) Das Symbol zum Kieler Umschlag 2005 enthält einen kleinen
Fehler:
das Dach des Rathauses hat die Form aus der Zeit nach 1950, die
Darstellung
bezieht sich aber auf das Jahr 1920! Auf dem Schwarz-Weiß-Foto
oben
ist die richtige Form aus der Zeit bis zum 2. Weltkrieg gut zu sehen.
Das
ist aber nicht so schlimm, wichtig ist der - korrekte - Name: Neues
Rathaus!!!
So! Noch einmal zum Mitschreiben:
Das alte
Rathaus:
Das neue
Rathaus:
Das unsägliche und teure Gebäude (ex. Oberpostdirektion):
(hier versagt immer wieder die Kamera!)
Übrigens:
Zu diesem Thema ist von den gleichen Autoren ein Artikel in
ähnlicher Form im alten Kieler Anzeiger, der nicht mehr
existiert.
Den Namen hat ein anderer Verlag gekauft. Doch das neue Blatt,
das ist nicht mehr der Kieler Anzeiger, der für seine
regionalhisto-
rischen Beiträge bekannt war!